Subventionsfall
(angelehnt an: Schwabe/Finkel, Allgemeines Verwaltungsrecht und Verwaltungsprozessrecht, 9. Aufl. 2017, hier: Fall 12, S. 158 – 172)
Sachverhalt:
Die Denk-AG (im Folgenden „DAG“) berät Existenzgründer. Die zuständige Bundesoberbehörde B vergibt dauerhafte (und nicht zurückzuzahlende) Zuschüsse für die Abhaltung von Existenzgründungsseminaren. Die Geldmittel sind im Haushaltsgesetz eingestellt. Wie der DAG bekannt ist, ist nach den vom Bundeswirtschaftsministerium herausgegebenen Förderrichtlinien die Förderung davon abhängig, dass die beratenden Unternehmen bereits praktische Erfahrung in der Beratung von Existenzgründern aufweisen können. Die Förderrichtlinien spiegeln die jahrelange Verwaltungspraxis wieder. Da die DAG bislang nur wissenschaftlich gearbeitet hatte, aber dennoch in den Genuss der Förderung kommen wollte, hielt sie ihre Antragsformulierung bewusst schwammig und unvollständig. B genehmigte den Zuschuss – und erließ einen entsprechenden Bescheid.
Als die mangelnde Praxiserfahrung der DAG bekannt wird, hebt B die Zuschussbewilligung nach Anhörung auf. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhebt die DAG Klage. Sie beruft sich u.a. darauf, dass sie die Mittel bereits fest verplant habe, diese nicht mehr zur Verfügung stehen und die Förderrichtlinien für sie nicht gelten, weil sie außerhalb der Verwaltung stehe. Außerdem trägt sie – zutreffend – vor, dass ja auch kein Konkurrent durch ihre Förderung einen Nachteil erlitten hätte. Bei den konkreten Seminaren habe sie nämlich nicht mit anderen Anbietern konkurriert.
Hat die Klage Aussicht auf Erfolg?
Lösung:
A. Zulässigkeit
I. Verwaltungsrechtsweg
§ 40 I 1 VwGO
• öffentlich-rechtliche Streitigkeit
Merke: Zwei-Stufen-Theorie ist für verlorene Zuschüsse nicht anwendbar. Verlorene Zuschüsse sind einstufig und öffentlich-rechtlich.
• nichtverfassungsrechtlicher Art
hier: (+)
II. Statthaftigkeit
§ 42 I Alt. 1 VwGO
VA?
hier: Kehrseitentheorie: (+)
III. Klagebefugnis
§ 42 II VwGO
hier: Adressatentheorie
IV. erfolglos durchgeführtes Vorverfahren
§ 68 VwGO
hier: (+)
V. Klagegegner
§ 78 I Nr. 1 VwGO „Bund“
VI. Klagefrist
§ 74 I VwGO – mangels Angaben zu unterstellen
VII. Beteiligungsfähigkeit
§ 61 Nr.1 VwGO – juristische Personen
VIII.Prozessfähigkeit
§ 62 III VwGO – gesetzlicher Vertreter
= Klage zulässig
B. Begründetheit
Anfechtungsklage... gem. § 113 I 1 VwGO begründet, soweit Aufhebung rechtswidrig und DAG dadurch in ihren Rechten verletzt.
Rechtswidrigkeit
I. Ermächtigungsgrundlage: § 48 VwVfG (Schwabe/Finkel prüfen §§ 48 ff. VwVfG)
II. formelle Rechtmäßigkeit
Zuständigkeit: Gem. §§ 48 V, § 3 VwVfG: hier (+)
Verfahren: Anhörung, § 28 VwVfG (+)
III. materielle Rechtmäßigkeit
Hier müssen dann die materiellen Voraussetzungen des § 48 VwVfG vorliegen.
1. Rechtswidrigkeit des aufgehobenen VA?
(VA durch „Bescheid“ vorgegeben)
a. Rechtsgrundlage
Anforderungen des Vorbehalts des Gesetzes
Nach h.M. genügt, dass überhaupt eine parlamentarische Willensäußerung vorhanden ist – sofern die Zweckbestimmung hinreichend umrissen ist. Diese wird regelmäßig im Haushaltsgesetz gesehen, wo ein bestimmter Betrag für die Zuwendungen veranschlagt wird. Die konkrete Vergabe – wer, wann, wie viel bekommt – kann nach in der Praxis vorherrschender Auffassung durch Verwaltungsvorschriften geregelt werden, sofern Dritte nicht in ihren Grundrechten betroffen sind..
hier: keine Konkurrenten betroffen, d.h. ausreichende Rechtsgrundlage
b. formelle Rechtmäßigkeit
keine Anhaltspunkte, daher (+)
c. materielle Rechtmäßigkeit
Verstoß gegen Förderrichtlinien geeignet, eine materielle Rechtswidrigkeit zu begründen?
(P) Verwaltungsvorschriften sind nur Innenrecht
Lösung: Verwaltungspraxis löst über Art. 3 I GG eine Selbstbindung der Verwaltung und damit eine mittelbare Außenwirkung aus.
(P) auch zu Lasten des Bürgers (Art. 3 GG ist ja ein Grundrecht)? Ja, weil Gleichbehandlungsgebot auch eine objektiv-rechtliche Funktion hat.
hier: Verstoß gegen Förderrichtline begründet – über die Konstruktion der Selbstbindung – die Außenrechtswidrigkeit.
Ergebnis: Bewilligung war rechtswidrig.
Überleitung: begünstigender Verwaltungsakt (§ 48 I 2 VwVfG), der eine Geldleistung oder teilbare Sachleistung zum Gegenstand hat… Abs. 2!
2. kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand der Begünstigung (dann steht Abs. 2 einer Rücknahme nicht entgegen)
a. Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsaktes
Auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut:
Hier: DAG hat auf den Verwaltungsakt vertraut. Für eine gegenteilige Annahme liegen keine Anhaltspunkte vor, daher Vertrauen (+) / vgl. Formulierung: Hendler, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2001, Rz. 316 // ähnlich Skript 4, S. 101
b. Vertrauen auch schutzwürdig?
Prüfungsreihenfolge der Schutzwürdigkeit: S. 2 (Leistungen verbraucht und Vermögensdispositionen getroffen)… S. 3 (aber keine Schutzwürdigkeit in den genannten Fällen)… S. 1 (umfassende Interessenabwägung)
aa. S. 2 (Leistungen verbraucht oder Vermögensdispositionen getroffen, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann): Leistungen verbraucht/verplant (+)
bb. Schutzwürdigkeit ausgeschlossen?
§ 48 II 3 Nr. 2 VwVfG
• Angaben unvollständig
• Darüber hinaus erforderlich: zweck- und zielgerichtetes Handeln und Entscheidungserheblichkeit der Angaben
§ 48 II 3 Nr. 2 VwVfG: Schutzwürdigkeit ist hier ausgeschlossen!
Ergebnis zu „b.“: kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand, d.h. – Abs. 2 steht einer Rücknahme nicht entgegen!
3. Rücknahmefrist, § 48 IV VwVfG: (+)
4. Ermessen nach Abs. 1
hier: Ermessen gem. § 48 II S. 4 VwVfG intendiert! (kein Ausnahmefall ersichtlich)
Ergebnis der Rechtmäßigkeit der Rücknahme: Rücknahme materiell rechtmäßig!
Gesamtergebnis: Klage zulässig, aber unbegründet. ¥≤≤≤≤≤´´y<s